Die Geschichte des Tragens

Wir können schauen, wohin wir wollen: Begeisterte Trageeltern finden sich rund um den Globus. Bei den Tragesystemen gibt es kaum nennenswerte Unterschiede bei der Motivation zu tragen allerdings schon. Vor allem in den USA werden Babys aus praktischen Gründen getragen. Vielerorts in einer Fertigtrage mit dem Blick nach vorne gerichtet, damit der Nachwuchs so früh wie möglich ins Geschehen eingebunden wird. Hierzulande wird mehr Wert auf die Trageergonomie und auf die richtige Haltung des Babys gelegt. Zudem überwiegt als Grund der positive Bindungseffekt des Tragens. Wir nehmen euch nun mit auf eine kleine Zeitreise und schauen uns an, wann das erste halbwegs marktreife Tragetuch entwickelt wurde, wie die ersten Kinderwagen ausgesehen haben und warum der Homo sapiens in der Biologie als Tragling gilt.

Die Geschichte des Tragetuchs

Auch wenn es dazu nicht sehr viele Quellen gibt, können wir davon ausgehen, dass Babys seit Anbeginn der Menschheit getragen wurden, sonst hätten sie vermutlich schlichtweg nicht überlebt. In der Steinzeit wurden sie in Fellen oder Säcken transportiert und eben nicht in der Höhle zurückgelassen, da dies einfach zu gefährlich gewesen wäre. Im Laufe der Geschichte ist es bei diesem Muster geblieben. Wir tragen unsere Babys, nehmen sie auf den Arm, wiegen sie in den Schlaf, legen sie sanft über die Schulter. Mittlerweile weiß man auch, wie wichtig der Körperkontakt für die Mutter/Vater-Kind-Bindung ist und dass Tragen den Babys dabei hilft, Spannungen abzubauen und sich zu beruhigen. Was man dabei nicht vergessen darf: Wir haben hier heutzutage einen sehr privilegierten Standpunkt. Wohlstand und die gesellschaftlichen Umstände, in denen die meisten leben, machen es uns möglich, ein Baby zu tragen, einfach weil wir es möchten. Wir können auf eine Tragehilfe, ein Tragetuch, einen Kinderwagen oder die Kombination aus allen Transportmöglichkeiten nach Belieben zurückgreifen.

Tragen als Notwendigkeit

Früher und je nach Kultur variabel war das Tragen des Babys vielmehr eine Notwendigkeit als eine „Luxusentscheidung“. Da der Großteil aller Säuglinge gestillt wurde, war es erforderlich, die Nähe zur Mutter zu gewährleisten. Wenn die Frauen also ihre Arbeit am Feld, bei der Ernte oder andere körperliche Tätigkeiten verrichteten, trugen sie ihre Kinder am Rücken oder auf der Hüfte. Für den Halt sorgte ein gewebtes Tuch, eine Tragevorrichtung aus Holz oder Leder oder ein geflochtener Korb. In Mexiko und Guatemala wird traditionellerweise das Rebozotuch verwendet, in Tahiti ein Pareo und in China ein Mei Tai und es gibt noch viele mehr. Für Europa gibt es wenig überlieferte Daten. Im 19. Jahrhundert gab es sogenannte Tragemäntel, unter denen das Baby gehalten wurde. Ebenso wird von Kraxen, Körben, Steck- und Wickelpolstern berichtet. Das sind Kissen, die einen Beutel für das Baby hatten und mit Trägern gehalten wurden. Man weiß, dass es zu dieser Zeit große Klassenunterschiede gab. In wohlhabenden Schichten der Gesellschaft wurden Kinder mit einer gewissen Distanz zu den Eltern erzogen. Babys wurden vom Tag der Geburt weg einer Gouvernante, Amme oder einem Kindermädchen anvertraut. In sozial benachteiligten Kreisen wurden die Babys gestillt und demnach nah bei ihren Müttern getragen.

So tragen wir in Europa

1971 beginnt eigentlich die Geschichte des Tragetuchs in Europa. Fotos von Müttern, die ihre Kinder tragen, aus unterschiedlichsten Kulturen inspirieren Erika Hoffmann, es selbst zu versuchen. Mit einem Tuch aus Mexiko startet sie die ersten Versuche, ihre Kinder zu tragen. Sie ist begeistert und entscheidet sich, die Firma Didymos zu gründen und das Tragetuch bei Hebammen, KinderärztInnen und Fachpersonen sowie in den Medien zu bewerben. Mit der Zeit folgen viele Hersteller dem Beispiel Hoffmanns - nicht zuletzt aufgrund der Attachment-Parenting-Bewegung, die das Tragen eines Babys als zentrales Element des Bindungsaufbaus definiert. Zusätzlich zu den Tragetüchern wurden auch erste Tragehilfen entwickelt und werden nach wie vor laufend optimiert.

Tipp: Du möchtest mehr darüber erfahren, wie Eltern in Deutschland, Österreich und der Schweiz ihre Babys tragen? Dann empfehlen wir dir die Ergebnisse der großen Trageumfrage 2020, bei der über 10.000 Schwangere, Mamas und Papas zu den Themen Tragen, Trageberatung und Tragehilfen befragt wurden.

Als der Kinderwagen in Mode kam

Wenn wir über das Tragen sprechen, dürfen wir den Kinderwagen natürlich nicht außer Acht lassen. Während im Mittelalter noch Schubkarren und Transportwagen aus Holz verwendet wurden, wurden Anfang des 19. Jahrhunderts in England zum ersten Mal Stubenwagen auf der Straße gesichtet. In diesen einfachen Gefährten bestehend aus großen Reifen und einem Rattankorb, konnten Babys allerdings nur sitzend transportiert werden. Mitte des 19. Jahrhunderts ging in Deutschland die erste Kinderwagenfabrik in Betrieb. Ernst Albert Naether, der Gründer dieser Fabrik, gilt auch heute noch als Pionier der Kinderwagenindustrie. Mittlerweile gibt es zahlreiche Modelle und Hersteller, vom Kombikinderwagen über Buggy bis hin zum sportlichen Jogger.

Evolutionsbiologie: Menschenkinder als Traglinge

Machen wir noch einen kleinen Ausflug in die Welt der Evolution. Der Biologe Bernhard Hassenstein hat für den Menschen den Begriff des Traglings geprägt, im Gegensatz zum Nesthocker und Nestflüchter. Er führt dies auf jene Reflexe zurück, die auch nach der Geburt noch bestehen bleiben, z. B. Greifreflex oder Moro-Reflex. Das wiederum spricht dafür, dass Babys es genießen, von Geburt an getragen zu werden, da sie nicht nur die schaukelnden Bewegungen aus dem Mutterleib kennen, sondern sich auch die körperliche Nähe zur Bezugsperson positiv auf ihre Entwicklung auswirkt.

Trageberaterin Michaela Lehner zeigt in diesem BABY ACADEMY-Vortrag, warum Säuglinge aus evolutionsbiologischer Sicht „Traglinge“ sind und in welchen Alltagssituationen das Tragen eines Babys eine besonders wertvolle Unterstützung darstellt. Außerdem hebt sie die positiven Effekte des Tragens in Punkto Bindung, Vertrauensaufbau und Geborgenheit hervor:

ExpertInnen-Überprüfung durch

Michaela Lehner

Michaela Lehner

Zertifizierte Trageberaterin, Leiterin von Die Trageschule® Österreich und Schweiz und Obfrau des Dachverbands österreichischer Trageschulen. Seit 2004 beschäftigt sie sich mit dem gesunden Tragen von Babys und Kleinkindern und war maßgeblich am Aufbau des österreichischen Trageberatungs-Netzwerks beteiligt.

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Mehr erfahren:

Mit Baby on Tour: Kinderleichtes Wickeln unterwegs

In den ersten Lebensmonaten gehört das Wickeln neben Füttern/Stillen, Tragen, Kuscheln und dem Begleiten beim Einschlafen zu den Hauptaufgaben frisch gebackener Eltern. Zu Hause richtest du dafür einen geeigneten Platz ein, damit du immer alle Utensilien rasch zur Hand hast. Das kann ein eigener Wickeltisch sein oder eine Kommode mit entsprechendem Aufsatz. Wenn ihr ausreichend Zeit im Wochenbett verbracht habt, beginnt ein neuer Alltag und dann wirst du ab und zu mit deinem Baby auch unterwegs sein. Wie das Wickeln auswärts gelingt, was in der Wickeltasche nicht fehlen darf und ob auch Stoffwindeln für unterwegs geeignet sind – das erfährst du bei uns.

Weiterlesen

Dem Baby das Fläschchen geben: So gelingt das Bonding

Muttermilch ist das optimale Nahrungsmittel für dein Kind und beim Stillen tankt es zusätzlich viel Sicherheit und Geborgenheit. Manchmal ist es jedoch so, dass es aus welchen Gründen auch immer mit dem Stillen nicht klappt oder möglich ist. Dann bekommt dein Kind künstliche Säuglingsanfangsnahrung aus dem Fläschchen. Das Bonding muss darunter jedoch nicht leiden. Wenn dein Baby mit dem Fläschchen gefüttert wird, kannst du darauf achten, wie du das Füttern gestaltest. Körpernähe, Blickkontakt und entspannte Atmosphäre tragen dazu bei, dass die Eltern-Kind-Bindung auch gefördert wird, wenn du nicht stillst. Wir haben ein paar Ideen für dich, wie man das Füttern mit dem Fläschchen so angenehm und bindungsorientiert wie möglich gestalten kann. Von den Tipps profitieren übrigens Stillmamas, die gelegentlich Milch abpumpen, damit sie selbst oder eine andere Bezugsperson das Kind zwischendurch versorgen können.

Weiterlesen

Kindersicherheit im Auto: Sitze für Neugeborene

Die erste Kindersitzgruppe, die du verwenden wirst, ist ein Sitz der Gruppe 0 bzw. 0+ (nach der ECE R-44-04-Norm). Dabei handelt es sich um eine Babyschale mit Bügel oder einen i-Size-Sitz (ECE R-129 Norm seit 11/2014), der in beide Fahrtrichtungen montiert werden kann. Du verwendest solche Sitze in etwa bis zum ersten Lebensjahr deines Kindes oder einem Gewicht von 10-13kg. Dabei handelt es sich jedoch nur um allgemeine Richtwerte, wann der Wechsel auf die nächstfolgende Sitzgruppe erforderlich ist, wird individuell entschieden.

Weiterlesen

Inkontinenz nach der Geburt

Auch wenn es möglicherweise unangenehm erscheint, wir widmen uns einem Tabuthema, das viele Frauen speziell nach der Geburt beschäftigt. Sie leiden unter Harninkontinenz, in seltenen Fällen auch unter Stuhlinkontinenz. Wenn Ausscheidungen nicht mehr kontrolliert abgegeben werden können, ist das für Betroffene eine große Belastung. Wir klären dich über die Ursachen, mögliche Therapien und den Nutzen von Beckenbodentraining auf.

Weiterlesen

Melde dich zum Schwanger.at Newsletter an – dich erwarten spannende Artikel, Produkttests und Gewinnspiele!

Bitte rechnen Sie 4 plus 1.