Trauerarbeit nach einer Fehl- und Totgeburt

Etwa 15% aller Schwangerschaften enden unglücklich – mit einer Fehl- oder Totgeburt. Bis zur 12. Schwangerschaftswoche spricht man von einem Frühabort, ab der 13. Woche von einem Spätabort. Wenn der Embryo keine Vitalfunktionen zeigt, sowie über 500 g wiegt, bezeichnet man dies als Totgeburt. Eine Schwangerschaft, die ein derart abruptes Ende nimmt, ist ein einschneidendes Erlebnis für die betroffenen Eltern. Die Aufarbeitung des Verlustes kann Wochen, Monate und Jahre dauern – jeder und jede trauert anders.

Paar hält Hände nach einer Fehlgeburt

Mit dem Verlust umgehen

Es ist ein unfassbar tragisches Ereignis, das im Stande ist, die Welt einer gesamten Familie auf den Kopf zu stellen. Ab dem Zeitpunkt, an dem eine Frau von ihrer Schwangerschaft erfährt und diese frohe Botschaft vielleicht auch schon mit ihrem Partner teilt, bereitet sie sich innerlich auf das Baby vor. Sie ist eine Mutter, noch bevor ihr Kind geboren wird. Genauso ist der Mann bereits Vater, während seine Partnerin das ungeborene Baby in sich trägt. Sofern sich die Schwangerschaft bei ihrem Abbruch bereits in einer fortgeschrittenen Phase befindet, haben sich die Eltern nicht nur innerlich mit dem Familienzuwachs verbunden, sondern auch im Außen Vorbereitung für das Baby getroffen (z.B. das Kinderzimmer eingerichtet, den Kinderwagen ausgesucht). Die Nachricht, dass das ungeborene Kind im Mutterleib nicht überlebt hat, kommen ohne Vorankündigung.

Nicht immer sind die Ursachen einer Fehl- oder Totgeburt klar, betroffene Frauen suchen dann die Schuld bei sich. Sie überlegen, was sie getan oder unterlassen haben könnten, um den Embryo zu gefährden. Sie fühlen sich schuldig, defekt und in ihrer ganzen Trauer als „schlechte“ Mutter, die es nicht geschafft hat, ihrem Kind einen geschützten Entwicklungsraum zu bieten. Einen Schuldigen zu suchen, ist eine typische Reaktion in der ersten Schockphase nach dem Verlust des Kindes. Wenn man sich nicht selbst die Schuld gibt, sind es meistens ÄrztInnen oder Hebammen, denen ein mögliches Fehlverhalten oder Fehlentscheidungen vorgeworfen werden. All diese Reaktionen sind verständlich, jedoch auf Dauer im Trauerprozess nicht zielführend. Für manche Eltern ist es wichtig, die Ursachen für den Verlust des Kindes so weit wie möglich abzuklären. Im Gespräch mit dem Arzt/der Ärztin aus dem Krankenhaus und/oder dem eigenen Gynäkologen/der eigenen Gynäkologin könnten betroffene Eltern herausfinden, welche medizinischen Gründe für den Tod ihres Kindes infrage kommen. Häufig sind es Gendefekte, Fehlbildungen, Entwicklungsstörungen, hormonelle Störungen, Probleme mit der Plazenta oder Infektionen (z.B. Listerien), die ein Überleben des Kindes verhindern. Auch wenn es im Schockzustand beinahe unmöglich zu erfassen ist: Kompetente und fachspezifische Aufklärung zu den Todesursachen sind für Eltern ungemein wichtig. Wissen, und wenn es noch so schmerzhaft ist, kann bei der Aufarbeitung des Verlustes helfen.

Abschied nehmen

TrauerbegleiterInnen sind sich einig: Eltern sollen in jedem Fall die Möglichkeit bekommen, sich gebührend von ihrem verstorbenen Kind zu verabschieden. In welcher Form dieser Abschied gestaltet werden kann, hängt von der Situation ab. Eine große Rolle spielt dabei das Verhalten des betreuenden Geburtsteams. Es sollte Eltern gewissenhaft über jene Entscheidungen informieren, die im Falle einer Fehl- oder Totgeburt getroffen werden müssen. Für Eltern ist es wichtig, sich in diesem diffus-schmerzhaften Zustand orientieren zu können. Die Hebamme oder der Arzt/die Ärztin bespricht mit den Eltern also den Ablauf der Geburt, Möglichkeiten, Alternativen und klärt über Risiken auf. Zudem wird den Eltern idealerweise erklärt, wie viel Zeit sie für welche Entscheidung haben. Anschließend legt man gemeinsam fest, wie es nach der Geburt weitergeht:

  • Möchten die Eltern das Baby sehen und halten?
  • Gibt es jemanden im Kreißsaal, der Fotos machen kann oder wird ein Sternenkindfotograf/eine Sternenkindfotografin hinzugezogen?
  • Wünschen die Eltern eine Namensgebung, eine Segnung, eine Taufe? Soll eine Autopsie gemacht werden?
  • Sollen Familienmitglieder/Geschwisterkinder das Baby „kennenlernen“?
  • Wird es ausreichend Zeit für die Eltern geben, das Baby zu halten, zu berühren, zu baden oder für die Beerdigung einzukleiden (z.B. mit speziell genähtem Gewand für Sternenkinder)?
  • Möchten die Eltern ihrem Kind etwas auf seinen letzten Weg mitgeben?

Das Abstecken dieses Rahmens ist ebenso schmerzhaft wie notwendig. Dadurch wird den Eltern ein richtiger Abschied von einem echten Menschen, ihrem Baby, ermöglicht. Auch Erinnerungsstücke helfen den Hinterbliebenen dabei, das Andenken zu wahren. Das können Hand- und Fussabdrücke, Fotos oder eine Haarlocke des Kindes sein.

Die Phasen der Trauer

TrauerforscherInnen und PsychologInnen haben sich mit den Phasen der Trauer auseinandergesetzt. Interessant dabei ist, wir alle durchlaufen diese Trauerphasen, jedoch in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß. Jeder Mensch hat gewissermaßen seinen eigenen Weg der Trauer, den er so beschreitet, wie es sein Gefühlsleben und seine Copingstrategien eben zulassen. Die bekanntesten Trauermodelle sind:

  • Die vier Phasen der Trauer von Glen Davidson: Schock und Betäubung (Leere, Empfindungslosigkeit, Starre, Chaos – kann Stunden bis Wochen dauern), Suchen und sich sehnen (Wut, Ohnmacht, Zorn, Aggression, Schuld – Dauer vier bis sechs Monate), Desorientierung und Verwandlung (Einsamkeit, Verzweiflung, Realitätsferne, manchmal depressive Verstimmungen – ein halbes Jahr bis etwa zum ersten Todestag), Erneuerung und Hoffnung (Dankbarkeit, wieder einen Sinn im Leben erkennen, Zukunftspläne – im zweiten Jahr nach dem Verlust).
  • Die Trauerphasen nach Edward John Bowlby: Phase der Betäubung, Phase der Sehnsucht und Suche nach der verlorenen Bindungsfigur, Phase der Desorganisation und Verzweiflung, Phase der Reorganisation.
  • Die Trauerphasen nach Elisabeth Kübler-Ross: Verleugnung (Ohnmacht, Schock), Wut/Zorn (zusätzlich Angst und Schuldgefühle), Verhandeln (Sehnsucht, Bitte, dass verstorbene Person wieder zurückkehrt), Depression (Hoffnungslosigkeit, Sinn des Lebens wird angezweifelt, tiefe Trauer und Leere), Akzeptanz (Reorganisation, der Tod der geliebten Person wird akzeptiert).
  • Traueraufgaben nach James William Worden: Um Trauer bewältigen zu können, müssen wir gewisse Stadien durchlaufen, die wiederum Herausforderungen für uns bereithalten. Worden hat diese als Traueraufgaben bezeichnet. Jede Trauerphase bringt eine spezielle Aufgabe mit sich, die wir bewältigen müssen, um in die nächste Trauerphase zu gelangen. In der ersten Phase besteht die Aufgabe darin, den Verlust anzunehmen. Die zweite Phase ist eine Zeit, in der man intensiv durch ein Schmerzerleben geht. Der Verlust der geliebten Person wird sowohl körperlich als auch seelisch als Schmerz wahrgenommen. Das Durchleben dieses Schmerzes ist die zweite Traueraufgabe. Die dritte Aufgabe ist es, die Rolle des Verstorbenen zu reflektieren und sich an eine Welt, ohne ihn anzupassen, Rollen neu zu verteilen. Die Traueraufgabe in der vierten Trauerphase besteht darin, sich auch emotional vom Verstorbenen zu lösen.

Betroffene Väter und Paarbeziehung

Nach dem Verlust eines Kindes trauern Mütter und Väter unterschiedlich. Frauen erleben den Tod ihres Kindes zumeist intensiver, da sie schon früh eine körperliche und emotionale Bindung zu ihrem Baby aufgebaut haben. Schließlich haben sie ab Ausbleiben der Regel erlebt, wie sich der eigene Körper verändert und sich auf die Schwangerschaft vorbereitet. Manchen Männern fehlt diese enge Bindung, sie erleben die Schwangerschaft eher aus der Distanz, verlegen sich vielleicht auf praktische Arbeiten wie die Renovierung des Kinderzimmers oder den Zusammenbau des Kinderwagens. Bei einer Frau kann die Trauerarbeit länger dauern, sie durchläuft die Trauerphasen ausgiebiger. Frauen tendieren dazu, ihre Emotionen zu durchleben, während Männer sich tendenziell auf einer rationalen Ebene bewegen. Sie suchen vernünftige Erklärungen, arbeiten Befunde durch oder recherchieren im Internet. Eine verwaiste Mutter gesteht sich ihre Verzweiflung und Hilflosigkeit ein und ist eher bereit, Hilfe von außen anzunehmen, den Verlust aktiv zu verarbeiten. Männer hingegen zeigen ihre Trauer zumeist nicht, sie sind zurückhaltend und in sich gekehrt. Viele versuchen, den Tod des Kindes „mit sich selbst“ auszumachen, für die Frau stark zu sein. Auch der Beschützerinstinkt ist z.B. bei einer erneuten Schwangerschaft, erhöht.

Der Tod des eigenen Kindes kann eine Partnerschaft vor eine große Herausforderung stellen. Beide Partner gehen mit dem Verlust anders um, häufig fehlt das Verständnis für die Gefühlswelt des Gegenübers. Es gibt kein Patentrezept, wie ein Paar „richtig“ trauert. Auch wenn jeder den Verlust für sich verarbeitet, ist es ratsam, die Trauer zu teilen. TrauerbegleiterInnen ermutigen ihre KlientInnen zumeist, sich auszutauschen und alle Gefühle, die in den Trauerphasen aufkommen, zu akzeptieren. Der Partner fühlt sich in der Regel angenommen, wenn er in seiner Trauer gesehen und anerkannt wird. Wenn die Probleme in der Partnerschaft anhalten und die verwaisten Eltern nicht in der Lage sind, den Verlust allein zu bewältigen, empfiehlt es sich, einen Psychotherapeuten/eine Psychotherapeutin aufzusuchen. Auch Selbsthilfegruppen für Eltern von Sternenkindern/verwaiste Eltern oder hinterbliebene Angehörige können eine erste wichtige Anlaufstelle sein.

So kann das Umfeld unterstützen

Erleidet ein Paar eine Fehl- oder Totgeburt, ist das Umfeld besonders gefordert. Die Betroffenheit ist jedoch auch bei den Angehörigen, Freunden oder Kollegen groß. Sie fühlen sich oftmals hilflos, wissen nicht, wie sie helfen können, und leiden mit dem Paar mit. Idealerweise gibt es nach einer Fehl- oder Totgeburt ein Netzwerk aus ExpertInnen (ÄrztInnen, Hebamme, Doula, Therapeut/Therapeutin, Selbsthilfegruppe) und persönlichen Unterstützern, die im privaten Bereich präsent sind. Hier ein paar Ideen, wie ihr den Sterneneltern/der trauernden Familie helfen könnt:

  • Den Verlust gefühlvoll, aber offen ansprechen. Nicht so tun, als ob nichts passiert wäre, keine Beschwichtigungen und kein Bedrängen im Trauerprozess.
  • Die Familie im Alltag unterstützen: Essen vor die Haustüre stellen oder bei der Familie kochen, sich um Wäsche und Haushalt kümmern, Geschwisterkinder übernehmen und z.B. mit ihnen zum Spielplatz gehen oder sie zur Schule/zum Kindergarten bringen.
  • Einkäufe erledigen, später beim Eingliedern und Neustrukturieren im Alltag helfen.
  • Für Gespräche zur Verfügung stehen, die Trauer nicht bewerten, den Eltern helfen, Antworten auf ihre offenen Fragen zu finden.
  • Umarmen, Halten, ein Taschentuch reichen, eine Schulter zum Anlehnen bieten.
  • Auf Selbsthilfegruppen, therapeutische Angebote hinweisen (Hilfe zur Selbsthilfe).

Interview: Simone Strobl vom Verein Pusteblume

Organisationen wie der Verein Pusteblume haben es sich zur Aufgabe gemacht, betroffenen Eltern zu helfen und das Thema aus der Tabuzone zu holen. Wir haben mit Simone Strobl, Obfrau des Vereins Pusteblume, über die Eintragung von Sternenkindern ins Personenstandsregister, über das hilfreiche Verhalten im Umgang mit Betroffenen und über individuelle Trauer gesprochen. Das gesamte Interview liest du hier.

Experten-Überprüfung durch

Simone Strobl

DI Simone Strobl

Simone Strobl ist Mutter von zwei Sternenkindern und einem Erdenkind. Seit 2013 begleitet sie als Obfrau vom Verein Pusteblume und Leiterin der Selbsthilfegruppe für Fehl- und Totgeburten in Wels Eltern von Sternenkindern.

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