Bakterien für Neugeborene: Vaginal Seeding in der Geburtshilfe

Es ist ein aktueller Trend aus der Geburtshilfe, der sich langsam seinen Weg nach Europa bahnt. In Amerika und Australien ist Vaginal Seeding bereits auf vielen Geburtenstationen etabliert, hierzulande sieht man diese Behandlung noch skeptisch. Warum manche Eltern sich wünschen, dass ihr Baby nach der Geburt mit Vaginalsekret eingerieben wird und welche Risiken die Methode birgt, erfährst du hier bei uns.

Kleines Baby schläft

Seeding nach dem Kaiserschnitt

Der Begriff Vaginal Seeding kommt aus dem Englischen und wird gerne mit „Bakteriendusche“ oder aber auch „Impfung“ übersetzt. Es handelt sich hierbei um ein relativ neues Verfahren in der Geburtshilfe, das in Übersee bereits sehr populär ist und vereinzelt auch schon im deutschsprachigen Raum zur Anwendung kommt: nach dem Kaiserschnitt wird das Neugeborene mit dem Scheidensekret der Mutter in Berührung gebracht.

Etwa eine Stunde vor der Schnittentbindung setzt eine Hebamme eine sterile Tamponade in die Scheide der Gebärenden. Der sterile Verbandstoff soll Keime und Bakterien, die sich im Geburtskanal befinden, aufnehmen. Vor dem eigentlichen Eingriff wird die Tamponade entfernt und keimfrei gelagert. Hat der Nachwuchs das Licht der Welt erblickt, reibt ihn die Hebamme vorsichtig mit dem getränkten Verband ein. Manchmal wird auch ein wenig Flüssigkeit in den Mund des Säuglings geträufelt. Man verspricht sich davon eine Stärkung des kindlichen Immunsystems, da die Scheide mit vielen nützlichen Bakterien besiedelt ist.

Die Natur als Vorbild

Vaginal Seeding ist, wenn man so will, ein Versuch, die Perfektion der Natur zu imitieren. Schließlich ist der natürliche Gebärvorgang ein in sich abgeschlossener Prozess, bei dem an alles gedacht wurde. Im Laufe der Schwangerschaft bereitet sich der Körper mehr und mehr darauf vor, ein Kind auf die Welt zu bringen. Das Gewebe wird dehnbarer, Knorpel werden weicher und letztlich sorgen die Hormone für Wehen. Die wiederum braucht die Gebärende, um das Kind durch den Geburtskanal zu schieben und den Geburtsschmerz leichter zu ertragen. Wenn das Baby durch die Scheide gedrückt wird, kommt es dort zwangsläufig mit Scheiden- und auch Darmbakterien in Berührung. Diese sind im Regelfall nicht schädlich, ganz im Gegenteil. Man geht davon aus, dass sie das Immunsystem des Babys stärken. Es sind allen voran Bakterien der Gattung Lactobacillus und Bacteroides, denen eine positive Wirkung nachgesagt wird.

Ein Kaiserschnitt weist nicht nur einen anderen, sondern auch einen weitaus sterileren Geburtsverlauf auf. Das Baby wird über die Bauchdecke der Mutter entbunden, es kommt also mit den Keimen aus der Scheide gar nicht in Berührung. In Anbetracht einer Kaiserschnittrate von 30% (aktuell in Österreich und Deutschland) sowie weitaus höheren Kaiserschnittraten in anderen Ländern (z.B. Brasilien), mag es nicht verwundern, dass man seitens der Geburtshilfe versucht, auch diesen Vorgang zu optimieren. Mit dem Vaginal Seeding schließt man sozusagen an den Kaiserschnitt an. Babys, die per Schnittentbindung geboren werden, sollen ebenso mit Scheidenbakterien in Berührung kommen, auch wenn man dafür einen „kleinen Umweg“ in Kauf nehmen muss. Nicht alle, aber viele werdende Eltern, zeigen sich durchaus interessiert an dem neuen Verfahren. Schließlich zeigen Studien, dass Kaiserschnitt-Babys ein höheres Risiko haben, später an Diabetes, Asthma oder Allergien zu erkranken.

In der Praxis umstritten

In Amerika, Australien und Großbritannien ist Vaginal Seeding beinahe schon zur Routine geworden. Hierzulande gibt es nur wenige Spitäler, die dieses Verfahren anbieten und durchführen. Das liegt an der dünnen Forschungslage zum Thema. Bislang gibt es nur eine Studie, die an der New York School of Medicine durchgeführt worden ist. Studienleiterin Prof. Dr. Maria Dominguez-Bello hat den Transfer von Scheidenbakterien nach dem Kaiserschnitt bei vier Neugeborenen durchgeführt. Etwa einen Monat lang wurde beobachtet, wie sich das auf die Besiedelung des Körpers mit Mikroorganismen auswirkt. Zum Vergleich zogen Dominguez-Bello und ihr Team sieben Säuglinge heran, die entweder natürlich oder per Kaiserschnitt (ohne Vaginal Seeding) das Licht der Welt erblickten. Im Darm jener Babys, die dem Seeding unterzogen wurden, fand man tatsächlich mehr Scheidenbakterien als bei den anderen Kindern, bei denen das Verfahren nicht angewandt wurde. Die höchste Besiedelung an positiven Bakterienkulturen wiesen jene Babys auf, die spontan also vaginal entbunden wurden.

MedizinerInnen und Geburtshelfer sind geteilter Meinung. Während die einen davon überzeugt sind, dass Vaginal Seeding „zumindest nicht schaden könne“, sehen andere dem Trend skeptisch entgegen. Hauptargument der Kritiker: das schwer abschätzbare Infektionsrisiko. Schließlich können beim Transfer von Sekret auch gefährliche Keime wie Streptokokken der Gruppe B, Herpes-Viren oder Erreger von Geschlechtskrankheiten übertragen werden. Befürworter halten dagegen, dass mögliche Infektionen seitens der Mutter noch vor der Geburt abgeklärt werden können. In Österreich ist beispielsweise in den letzten Schwangerschaftswochen ein Test auf B-Streptokokken vorgesehen. Der Vaginalbefund umfasst außerdem andere Infektionen, die während der Geburt ein Risiko für dein Baby darstellen.

Wenn aus medizinischer Sicht nichts dagegen spricht, empfiehlt sich stets eine natürliche Geburt. Achtet die Mutter schon während der Schwangerschaft auf ihre Gesundheit und entschließt sie sich dazu, ihr Baby mindestens sechs Monate voll zu stillen, schafft sie dadurch die perfekten Voraussetzungen für ein gesundes Baby und ein gesundes Immunsystem.

Das Immunsystem des Neugeborenen

Die Immunabwehr eines Säuglings ist direkt nach der Geburt noch geschwächt – das Immunsystem muss erst reifen. In den ersten Lebensmonaten verfügen Babys über den so genannten Nestschutz. Ihre Abwehr besteht aus mütterlichen Antikörpern, die in den letzten Schwangerschaftswochen übertragen wurden. Bei einer natürlichen Entbindung kommt der Nachwuchs außerdem mit Keimen aus der Scheiden- und Darmflora in Kontakt, auch das stärkt die Abwehr. Wenn du dein Kind stillst, versorgst du es ebenso mit wichtigen Abwehrstoffen. Im Laufe der Zeit nimmt der Nestschutz ab und der kindliche Organismus beginnt, die eigene Abwehr zu aktivieren. Das bedeutet auch, dass dein Kind von nun an erste banale Infekte durchmachen wird, die allesamt das Gedächtnis des Immunsystems trainieren.

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