Das Geburtserlebnis aus Sicht der Väter

Seit etwa 40 Jahren gibt es die Möglichkeit, dass ein werdender Vater die Gebärende in den Kreißsaal begleitet. Für den Großteil aller Männer ist es mittlerweile eine Selbstverständlichkeit geworden, wenngleich sie nicht genau wissen, was sie bei der Geburt erwartet. Ein geringerer Anteil hadert jedoch damit, zur Geburt mitgehen „zu müssen“, obwohl man sich dem Geschehen aus welchen Gründen auch immer nicht gewachsen fühlt. Im Rahmen einer Studie der Universitätsmedizin Mainz wurde 2016 erhoben, wie werdende Väter die Wehenarbeit der Frau, die Geburt und sich selbst als Teil der Geburt erleben.

Fakten-Box

Titel im Original: Birth experience from the perspective of the fathers

Veröffentlichungsdatum: 01.08.2020

StudienautorInnen:Vischer, L.C., Heun, X., Steetskamp, J. et al.

Status: Peer Reviewed

Link: https://link.springer.com/article/10.1007/s00404-020-05714-z

Hintergrund der Studie

Werdende Mütter werden heutzutage von ihrem Partner zur Geburt begleitet, in selteneren Fällen von einer Freundin, der eigenen Mutter oder einer anderen Vertrauensperson. Auch Geburtsvorbereitungskurse sind in den meisten Fällen für Paare, also die werdenden Eltern, konzipiert. Vätern soll genauso wie Müttern die Gelegenheit geboten werden, sich auf die Geburt des gemeinsamen Kindes vorzubereiten. Das beginnt bei der gemeinsamen Entscheidung für einen adäquaten Geburtsort und endet mit der Organisation des Wochenbettes und der Betreuung der frisch gebackenen Mama und dem Säugling. Gerade in Zeiten der Pandemie herrschte Verunsicherung bei werdenden Eltern, ob eine Begleitperson im Kreißsaal erlaubt ist oder ob die Mama die Geburt allein meistern muss. Im Zuge dessen ist der Vater als Begleitperson mehr in den Fokus gerückt, wenngleich sich diese Studie natürlich auf Erlebnisse von 2016 bezieht. Derzeit darf der Papa oder eine Begleitperson zur Geburt in den Kreißsaal, wenn er/sie eine FFP2-Maske trägt. Die Regelungen sind jedoch von Bundesland zu Bundesland sowie von Spital zu Spital unterschiedlich. Grundsätzlich können Männer ihre Partnerinnen jedoch begleiten, wenn sie das möchten.

Ausgehend von der Theorie, dass Väter die Geburt anders erleben als Mütter, wurde die vorliegende Studie in Mainz 2016 durchgeführt. Die StudienautorInnen wollten erheben, wie Väter beschreiben, was sie erlebt und gesehen haben im Kreißsaal und wie sie damit umgehen/sie das Erlebte integrieren. Schließlich ist es sowohl für die Mutter als auch für den Vater eine Grenzerfahrung, wenn ein Kind das Licht der Welt erblickt. Besonders beim ersten Kind gibt es im Vorfeld kaum konkrete Vorstellungen vom Ablauf der Geburt, dem Geburtsschmerz oder dem Prozedere im Kreißsaal.

Die StudienautorInnen stellen fest, dass die Geburt auch für den Vater einen Wendepunkt darstellt, der entsprechend berücksichtigt werden sollte. Idealerweise dominieren in dieser Situation Glücksgefühle, die Erfahrung zeigt jedoch, dass nicht jede Entbindung idealtypisch verläuft. Kommt es zu medizinischen Komplikationen, muss das Geburtsteam gegebenenfalls sehr rasch handeln. Die Gebärende und ihre Begleitperson haben nicht genug Zeit, um sich auf den geänderten Ablauf einzustellen. Die Geburt wird mitunter als überfordernd und traumatisierend erlebt. Daraus kann sich auch bei Männern eine Post-traumatische-Belastungsstörung entwickeln, vor allem wenn positive Gefühle hinsichtlich der Geburt vernachlässigt werden.

Wie wurde die Studie durchgeführt?

Von Januar bis Dezember 2016 wurden an der Universitätsmedizin Mainz Väter befragt, die ihre Partnerinnen auf die Geburtshilfestation begleitet haben. Insgesamt beantworteten 316 Väter den standardisierten „Fragebogen für Väter“ in den ersten Tagen nach der Geburt. Im Zuge der Fragen wurde erhoben, was die Väter motiviert, bei der Geburt anwesend zu sein. Ebenso wurden die Männer zu ihren Gefühlen während der Geburt befragt. Sie sollten zudem ihre eigene Anwesenheit und das Service im Kreißsaal beurteilen. Etwa sechs Monate nach der Entbindung bekamen die Teilnehmer den „Väterfragebogen“ noch einmal sowie einen zweiten Fragebogen den validierten „Fragebogen Impact of Event Scale (IES-R)“, der von 226 Vätern ausgefüllt wurde. Zur väterlichen Post-Traumatischen-Belastungsstörung gibt es wenig Literatur, daher hat man sich beim Design der Studie zusätzlich für den IES-R-Fragebogen entschieden.

Studienergebnisse

Von 318 Männern haben 211 (66,4 %) die Geburt ihres ersten Kindes miterlebt. Die Ergebnisse im Detail:

  • Motivation: 287 Väter gaben an, aus eigener Motivation die Geburt begleiten zu wollen. 196 Väter sind jedoch nur mit in den Kreißsaal gekommen, da sich die Partnerin dies ausdrücklich gewünscht hat. 19,8 % der Befragten wussten nicht, was sie bei der Geburt erwartet. 80,2 % hingegen gaben an, auf das Geburtserlebnis vorbereitet gewesen zu sein. 29,4 % der Väter sagten, dass sich ihre Erwartungen von der Geburt nicht erfüllt hatten.
  • Anwesenheit während der Geburt: 268 Männer (84,3 %) fühlten sich an der Geburt beteiligt, 50 (15,7 %) gaben an, nicht beteiligt gewesen zu sein. Der Großteil der Väter (85,5 %) hatte den Eindruck, dass die Partnerin von der Anwesenheit profitieren konnte und 79,8 % gaben an, dass sie selbst einen positiven Nutzen sehen konnten. 73,6 % der Väter waren überzeugt, dass die Geburtsbegleitung sich positiv auf das Neugeborene ausgewirkt hätte. Der Großteil der Väter fühlte sich zudem „gebraucht“ und 88,4 % der Studienteilnehmer gab an, dass sie ihre Frau gut unterstützen konnten während der Geburt.
  • Gefühle während der Geburt: 23,0 % der Männer fühlten sich hilflos, 14,8 % fühlten sich von der Situation überwältigt, 36,5 % hatten Angst und 94 % gaben an, dass sie froh waren, ihre Frau zur Geburt begleitet zu haben. Daher fielen die Antworten zur Begleitung der Geburt des nächsten Kindes mit 96,2 % überwiegend positiv aus (306 Männer haben beschlossen, auch bei der Geburt des nächsten Kindes anwesend zu sein).
  • Service im Kreißsaal: Die Angaben konnten im Rahmen von offenen Antwortfeldern gemacht werden und es gab seitens der Väter eine Vielzahl an Anregungen. Kritisiert wurde die fehlende zwischenmenschliche Bindung seitens des Geburtsteams und auch, dass die Väter nach der Geburt nicht ausreichend Zeit mit der Mutter und dem Baby verbringen konnten. Bequemere Sitzgelegenheiten und eine ausreichende Versorgung mit Getränken und Lebensmitteln wurde ebenfalls bei den Wünschen notiert.
  • Bei der Abfrage hinsichtlich einer Post-Traumatischen-Belastungsstörung zeigte keiner der Teilnehmer Symptome.

Empfehlungen der AutorInnen

Der überwiegende Teil aller befragten Väter, die ihre Partnerinnen zur Geburt begleitet haben, erlebten während ihrer Anwesenheit im Kreißsaal positive Gefühle und Augenblicke des Glücks. Sie zeigten sich dankbar und glücklich über die Möglichkeit, diese Erfahrung mit der Partnerin zu teilen und denken zudem, dass sich ihre Anwesenheit auch positiv auf die Bindung zum Neugeborenen auswirken wird. Beobachtet werden konnten auch negative Gefühle wie Hilflosigkeit und die Schwierigkeit, die eigene Partnerin leiden zu sehen. Männer hatten zum Teil das Gefühl, dass sie nicht ausreichend unterstützen konnten. Gerade in dieser Hinsicht wäre es empfehlenswert, die Hebammen und das Geburtsteam zu sensibilisieren, Informationen und Tipps zur Unterstützung auch dem werdenden Vater mitzugeben, ihn gewissermaßen zu ermächtigen. Das erfordert wiederum konkrete Antworten auf Fragen sowie mehr Präsenz des Personals im Kreißsaal. Die StudienautorInnen fordern dazu auf, die Bedürfnisse von Vätern nicht aus dem Blick zu verlieren, da die Geburt sowohl für den werdenden Vater als auch für die Gebärende selbst ein einschneidendes Erlebnis darstellt.

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